Page 66 - kafkas-kosmos
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Ein regnerischer Tag. Du stehst vor dem Glanz einer Pfütze. Bist nicht müde, nicht traurig, nicht nachdenklich, stehst nur dort in
aller Deiner Erdenschwere und wartest auf jemanden. Da hörst Du eine Stimme, deren Klang allein, noch ohne Worte, Dich lächeln
macht. «Komm mit», sagt die Stimme. Es ist aber rund um Dich niemand da, mit dem Du gehen könntest. «Ich ginge schon», sagst
Du, «aber ich sehe Dich nicht.» Darauf hörst Du nichts mehr. Aber der Mann auf den Du gewartet hast kommt, ein großer starker
Mann, mit kleinen Augen, buschigen Brauen, dicken etwas hängenden Wangen und einem Kinnbart. Es kommt Dir vor als müßtest
Du ihn schon einmal gesehen haben. Natürlich hast Du ihn schon gesehn, denn es ist Dein alter Geschäftsfreund, Du hattest mit
ihm verabredet, hier zusammenzukommen und eine lange schwebende Geschäftsangelegenheit durchzusprechen. Aber trotzdem er
hier vor Dir steht und von seiner altbekannten Hutkrempfe langsam der Regen tropft, erkennst Du ihn nur mühselig. Irgendetwas
hindert Dich, Du willst es wegdrängen, willst Dich mit dem Mann unmittelbar in Verbindung setzen und faßt ihn deshalb beim
Arm. Aber Du mußt ihn gleich wieder loslassen, es schauert Dich, was hast Du angerührt? Du schaust Deine Hand an, aber trotz-
dem Du nichts siehst, ekelt es Dich bis zum Brechreiz. Du erfindest eine Entschuldigung, die wahrscheinlich keine ist, denn
während Du sie sagst hast Du sie vergessen und gehst fort, gehst geradewegs in eine Hausmauer hinein …
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