Page 84 - kafkas-kosmos
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Nachwort
Auf Kafka
Ja, sagt Helmut Schlaiß und fährt mit der Hand am feuchten Glas seines kennen, ihm zunicken, ihn grüßen, ihn ins Gespräch verwickeln, sodass er
Bieres hoch und runter. Ja, sagt er, das könne er sich gut vorstellen, den womöglich ganz vergisst, mit wem er da zusammensitzt. Noch schlimmer
Franz Kafka zu treffen. Sehr gut sogar. Und er weiß auch gleich, wohin er aber sei die Vorstellung, sagt Helmut Schlaiß, dass Kafka, kaum dass er
ihn ausführen würde: ins «U Fleku», 1499 eröffnet und bis heute eines ihn am Tisch habe, an einer dieser endlos langen Tafeln unter den riesi-
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der schönsten Lokale Prags. Brauerei und Restaurant. Vier Säle und dazu gen Kronleuchtern, die von den Gewölbedecken herunterhängen, fast so,
ein Garten. «Das ist schon etwas anderes als hier», sagt Helmut Schlaiß, als sitze man im Rittersaal einer Burg, dass also Kafka unvermittelt ins
und fügt hinzu, dass es trotzdem auch hier zu Hause schön sei. «Kabaret» umziehen wolle, das auch im Gebäude untergebracht ist und
Wir sitzen in Hörvelsingen im großen Hof der Brauerei Pflug. Der neuerdings sogar wieder bespielt wird. Dass Kafka oft dort gewesen sei,
Himmel ist knallblau. Und der Schatten des Stalls tut gut. Es ist früher auch das wird Besuchern erzählt. Vielleicht also würde sich Kafka auf
Nachmittag, und noch sind nur ein paar Tische besetzt. Irgendwann diese Weise von den Massen davonstehlen, denn wirklich wohl habe er
flattert ein Huhn unterm Tisch hindurch. «Ein besseres Bier als hier», sich unter Menschen nicht gefühlt. Vielleicht aber hätte ihn auch einfach
sagt Helmut Schlaiß, «bekommen Sie so bald nicht wieder.» Wir haben das Programm interessiert. Es soll dort recht deftig zugegangen sein.
das Helle bestellt. Und Kafka? Aber das sagt Helmut Schlaiß nicht. Er sagt: «Sehr illustrig».
Hat der auch gern Bier getrunken? Im «U Fleku», das sich nicht scheut, Ignoriert man seine wenigen Dienstreisen, die Aufenthalte in Sanatorien
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sich in der Eigenwerbung unter die bekanntesten tschechischen Denk- und in Zürau auf dem von seiner Schwester Ottla betriebenen landwirt-
mäler einzureihen, die Prager Burg, den Altstadtplatz, das National- schaftlichen Gut, hat Franz Kafka seine Heimatstadt Prag kaum je ver-
museum und das Jüdische Viertel, habe Kafka viele Abende verbracht. lassen. «Prag lässt nicht los», schrieb er im Alter von nur neunzehn Jahren
So erzählt man es dort den Gästen. Was nichts heißen muss in einer fast schon prophetisch. «Dieses Mütterchen hat Krallen.» Auf seinen
Stadt, in der man nur allzu gern auf den berühmtesten Sohn verweist, Spuren zu wandeln heißt deshalb, durch Prag spazieren zu gehen, es zu
wenn es nur irgendwie nutzt. Vermutlich würden etliche Gäste ihn machen wie er, der schrieb: «Ich treibe mich am liebsten in Parks und auf
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